Zwei Wochen, nachdem diese Internetseite über eine mögliche Beteiligung der AfD an einer Regierung nachdachte, lieferte die AfD in Thüringen die entscheidenden Stimmen für die Wahl eines FDP-Politikers zum Ministerpräsidenten. Das Land ist überrascht und entsetzt, übersieht dabei aber, dass die beteiligten Parteien CDU und FDP seit 1949 Nationalsozialisten und ihrem Gedankengut den Weg in den neuen Staat ebneten.
Offenbar ging es der ersten Adenauer-Regierung aus CDU und FDP darum, die NS-Zeit möglichst schnell vergessen zu machen und eine Normalität herbeizuführen. Das sah sie am ehesten gewährleistet durch die Weiterbeschäftigung der Mitarbeiter, die den Job bereits im Nazistaat gemacht hatten. Ein Verdacht auf Beteiligung an NS-Verbrechen ließ sich durch die Zeugenaussagen guter Freunde leicht ausräumen, und so genau wollte man es auch gar nicht wissen. Für das Bundesjustizministerium unter dem FDP-Minister Dehler haben das ausführlich M. Görtemaker und C. Safferling in „Die Akte Rosenburg – Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit“ dargestellt. Für andere Ministerien wird ähnliches berichtet.
Auch in der Justiz beschäftigte man die NS-Richter und -Staatsanwälte weiter, ohne sich groß um ihre Vergangenheit zu kümmern. Das tat jedoch der Jurist I. Müller in seinem 1987 erschienenen Buch „Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz“. Darin beschreibt er nicht nur die Verbrechen der Nazi-Justiz, sondern auch die personelle Kontinuität in der Bundesrepublik. Das Buch sei in Juristenkreisen „widerwillig“ und „mit größter Ablehnung zur Kenntnis genommen“ und habe „Müllers akademische Karriere nachhaltig beschädigt“, sagen die o.g. Autoren. Natürlich hatten die ehrenwerten Richter und Staatsanwälte kein Interesse daran, dass ihre Rechtsbeugungen und Unrechtsurteile aus der NS-Zeit an die Öffentlichkeit kamen. Ihre Sicht brachte der Ex-Marinerichter und baden-württembergische Ministerpräsident Filbinger auf den Punkt: „Was damals Rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein!“ Dass es schon damals Unrecht gewesen sein könnte, kam ihm und den lieben Kollegen nicht.
Bis heute, 75 Jahre nach jenen Ereignissen, hat die Justiz ihren Anspruch, grundsätzlich und immer ohne Fehl und Tadel zu sein, nicht aufgegeben. Nach wie vor ist Recht für sie das, was sie für Recht erklärt, auch wenn es für jeden anderen Unrecht ist. Beispiele dafür aus der bundesrepublikanischen Justiz sind die ausführlich publizierten und gegen den Widerstand der Richterschaft aufgeklärten Fälle der unschuldig verurteilten und jahrelang inhaftierten Horst Arnold, Harry Wörz und Gustl Mollath. Wie viele ähnliche Fälle unverdiente Strafen absitzen, weiß man nicht, Schätzungen sprechen von 10 bis 25 % der Inhaftierten.
Ihre dehnbare Definition von Recht hat es der Justiz schon immer erlaubt, den Wünschen der jeweils Regierenden zu entsprechen und sich an ihrer Macht zu beteiligen. Das tut sie auch in der Bundesrepublik. Das wird sie vermutlich noch freudiger tun, wenn es endlich mal wieder zu einer ordentlichen Machtergreifung kommt, z.B. durch die AfD. Die brauchte sich in diesem Fall keine Gedanken über eine Anpassung der Justiz an ihre Ideen zu machen wie ihre Kollegen in Ungarn und Polen; denn mit Staatsunrecht hat die Rechtsstaatsjustiz der BRD bereits gute Erfahrung. Wer die drei genannten Fälle für bedauerliche Ausrutscher hält und die Dunkelziffer der Justizversager ignorieren möchte, mag sich die Fortsetzung der nationalsozialistischen Familienjustiz in der BRD vornehmen und auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze überprüfen. Anregungen dazu findet er in unseren Beiträgen „Lupenreiner Obrigkeitsstaat“ und „Das Märchen vom Rechtsstaat Deutschland – Die katholisch-nationalsozialistische Kontinuität im Familienrecht“.
Einen Lichtblick gibt es in dieser traurigen Geschichte. Diesmal haben sich Volk und Medien nicht weggeduckt und mit vermeintlich Wichtigerem beschäftigt wie in den 70 Jahren davor. Sie haben eindeutig gegen das Einvernehmen von CDU und FDP mit der AfD Stellung bezogen. Wenn es bei dieser Wachsamkeit bleibt, könnte es ja sein, dass sie der jungen Demokratie eine baldige Machtergreifung erst einmal erspart.